Ein Plädoyer für Jürgen Kohler
Irgendwann im Juli 1990 fragte der Onkel Klein-Marijo: „Wer ist denn dein großes Vorbild im Fußball?“ Marijos Augen fingen an zu leuchten, er wurde fast ein wenig aufgeregt beim Gedanken an sein Idol, aber ohne zu zögern schoss es aus ihm heraus: „Jürgen Kohler.“
Vermutlich musstet ihr gerade ein wenig schmunzeln. Denkt man an die Weltmeister von 90 gibt es da einen Häßler, einen Littbarski, einen Matthäus und – natürlich – die Stürmer Völler und Klinsmann. 2014 schwärmte man von Kroos, Özil, Götze und – natürlich – Klose, mit ein wenig Phantasie vielleicht noch von Müller. Ein DFB-Trikot mit der Aufschrift Höwedes war eher die Ausnahme.
Fans wie Medien mögen die Ballartisten, die technisch Begabten und feiern sie. Zurecht, denn wenn Icke Häßler einst den Ball streichelte, sah das nach Fußball aus. Bei Jürgen Kohler nach einer anderen Sportart. Trotzdem standen beide in einem Team, wurden zusammen Weltmeister. Man könnte trefflich drüber streiten, wer denn nun wichtiger für den WM-Titel war. Ein schlauer Spruch besagt, dass die Offensive zwar Spiele, die Abwehr jedoch Meisterschaften gewinnt.
Darin mag vielleicht eine ganze Menge Wahrheit liegen. Doch was die Abwehr nie gewinnt, sind die Herzen der Fans. Selbst bloße Anerkennung muss sie sich sehr hart erarbeiten. Das mag unfair sein, aber es liegt in der Natur der Sache. Gewinnt ein Team mit 1:0, lässt sich hinterher der Siegtorschütze feiern, selbst wenn er von sieben Großchancen sechs kläglich verballert hat. Wenn in demselben Spiel der Verteidiger 90 Prozent seiner Zweikämpfe gewonnen und keine Chance für den Gegner zugelassen hat, wird das zur Kenntnis genommen. Aber eigentlich hat er nur das gemacht, was man von ihm erwartet.
Beim Spiel von Vitesse Mayence gegen Bretzenheim 46 II hat die Abwehr ihren Job offensichtlich nicht gemacht. Mit 2:3 ging das Spiel trotz zwischenzeitlicher 2:1-Führung verloren. Graßhoff köpft einen Ball nach hinten, weil er keine Ansage von Keeper Trojan erhält, dass dieser sich auf dem Weg aus dem Kasten befindet (was in 14 gemeinsamen Vitesse-Jahren noch nie der Fall war), und weil die „Keeper“-Schreie von Libero Marijo Vrgoc zusätzlich verwirren – 0:1. Henkel kommt im Strafraum irgendwie an den Ball, der fliegt noch oben, Henkel verliert die Orientierung, sein Gegenspieler nicht, Marijo Vrgoc reagiert ebenfalls kaum, der gegnerische Stürmer schießt den Ball irgendwie Keeper Trojan durch die Beine – 2:2. Dries hat den Ball im Strafraum erkämpft und am Fuß, könnte so ziemlich alles machen, entscheidet sich aber für die schlechteste Variante: mal abwarten. Er wird abgegrätscht, der Ball stramm in die Mitte gespielt, Henkel ist nicht nah genug bei seinem Gegenspieler – 2:3.
Die Gegentore resultierten allesamt aus Fehlern der Abwehr. Aber nur so fallen Tore. Es ist ärgerlich, dass Vitesse dies mit Regelmäßigkeit passiert. Und da dies der Fall ist, kann man auch über die Qualität der Abwehr diskutieren. Ein Marko Vrgoc, dessen Qualität unbestritten ist, darf sich bei zwei eigenen Toren auch gerne über die Leistung seiner Defensive aufregen.
Er wird aber noch mindestens diese Saison mit ihr klarkommen müssen. Geändert hat man durch gegenseitige Schuldzuweisungen noch nie etwas. Sonst könnte man ja zum Beispiel auch mal die Frage stellen, ob Vitesse das Spiel nicht gewonnen hätte, wenn Marko beim Stand von 2:2 den Handelfmeter einfach reingeschossen hätte.
Spiele gewinnt man aus vielerlei Gründen. Wenn man mehr Tore schießt als der Gegner definitiv. Oft auch, wenn einer für den anderen kämpft. Wenn man einfach mehr Willen, mehr Biss hat als der Gegner. Natürlich auch, wenn man die besseren Fußballer auf dem Platz hat. Aber, so platt das klingen mag, man gewinnt nun mal als Team. Genauso wie man als Team verliert. Das sollte man im Fußball nie vergessen. Das wusste Kohler genauso wie Häßler. Und das weiß Höwedes so gut wie Özil.
Vitesse Mayence – TSG Bretzenheim 46 II 2:3 (1:1)
Aufstellung:
Trojan – Henkel, Marijo Vrgoc, Graßhoff – Friedrich, Samir (29. Keim), Röser, Fellenberger, Dries (78. Raubuch) – Jakic, Marko Vrgoc.
Tore: 0:1 Graßhoff (6, ET), 1:1 Marko Vrgoc (30.), 2:1 Marko Vrgoc (46.), 2:2 Adams (52.), 2:3 Adams (72.)
Besondere Vorkommnisse: Marko Vrgoc verschießt Handelfmeter (60.)
Gelbe Karten: Graßhoff.
Beste Spieler: Friedrich, Keim, Marko Vrgoc.