Historisches Spiel
 
„Hinten spielen ich, Maurice und Carsten“, begann Vitesse-Coach Marijo Vrgoc die Bekanntgabe seiner Aufstellung gegen den starken Aufsteiger Livingroom. In der Kabine war es totenstill. Die Blicke der Spieler richteten sich zunächst ungläubig auf die Tafel, dann entsetzt auf den mehrfachen Spieler der Woche. Man konnte die Gedanken der Vitesser lesen: „Moment, da fehlt doch jemand in der Abwehr. Was ist mit Alexander Graßhoff?“
 
Graßhoff selbst blieb ruhig. „Den Trainern kann meine derzeitige Offensivstärke nicht verborgen geblieben sein. Stipan war zwar schon im Leiter’chen Schnitzel essen, aber Marijo hat ja Augen im Kopf und wird bis sechs zählen können. Sechs Tore im Trainingsspiel. Das hat es bei Vitesse nicht mehr gegeben, seit Hassanzadeh über 120 Kilo wiegt – also eine halbe Ewigkeit“, dachte Graßhoff für sich. „Marko Vrgoc hat gerade mal zwölf Tore erzielt. Lächerlich. Wenn ich so lange gespielt hätte, wie sähe meine Quote aus? Vermutlich hätte ich schon 33 Tore.“
 
Doch als Vrgoc mit der Aufstellung durch war, kam für Graßhoff der große Schock: Er stand nicht in der Startaufstellung. In 14 Jahren bei Vitesse hatte es das nicht einmal gegeben. „Ich kenne die Gründe nicht. Die Trainer haben nicht mit mir geredet“, diktierte er den überraschten Journalisten in die Notizblöcke. „An der Vorbereitung kann es eigentlich auch nicht liegen. Ich habe mich professionell wie immer verhalten, war gestern im Schröders, hab nach drei Bier aufgehört zu zählen und lag so gegen fünf Uhr im Bett.“
 
Der Vertreter eines Privatsenders rief umgehend seine Redaktion an: „Ihr müsst sofort das Programm ändern, hier passiert gerade Historisches. Graßhoff sitzt bei Vitesse auf der Bank.“ Graßhoff wirkte zwar ebenfalls überrascht, doch auch in dieser äußerst schwierigen Situation blieb er gelassen: „Die Trainer werden ihre Gründe haben. Sie genießen weiterhin mein volles Vertrauen.“
 
Ohne ihren B-Klassen-erfahrensten Mann wirkte Vitesse denn auch gleich zu Beginn der Partie völlig verunsichert. Pascal Röser kam bereits nach zwei Minuten auf die nicht so gute Idee, einen Ball auf der Linie mit der Hand zu klären. Keeper Trojan, ohne Graßhoff vor sich quasi ohne Kompass unterwegs, war aus dem Kasten gestürmt, wurde aber umspielt. Den Schuss parierte dafür Röser in echter Torwartmanier. Rote Karte und Elfmeter, den der gute gegnerische Spielmacher Eisfeld verwandelte. 88 Minuten in Unterzahl – ein sehr subotimaler Start in ein Spiel.
 
Auf der Bank musste Graßhoff dann auch mitansehen, wie Abwehrchef Marijo Vrgoc beim Spielaufbau dem Gegner den Ball in den Fuß legte. Die folgende Abseitsfalle schnappte bei einem Doppelpass des Gegners nicht zu. Schwiderski konnte auf 2:0 erhöhen. Und vor dem 3:0 durch Eisfeld agierten Hausmann und Sengespeick im Strafraum ziemlich tollpatschig – erneut gab es einen Elfmeter für Livingroom.
 
Stipan Jakic, engagiert, aber ein wenig glücklos, holte den dritten Elfmeter des Spiels heraus, den Marko Vrgoc sicher verwandelte. Doch die aufkeimende Hoffnung wurde noch vor der Pause mit dem 4:1 für Livingroom zunichte gemacht. Im Mittelfeld bei Vitesse blieben Raubuch und Keim zu blass. Schaffte es das Team einmal in die gegnerische Hälfte, räumten die großgewachsenen Innenverteidiger beim Gegner alles ab.
 
In der zweiten Hälfte wurde Vitesse etwas stärker. Die Einwechslung von Fellenberger führte dazu, dass fortan im Mittelfeld mehr Zweikämpfe gewonnen wurden, ebenso wie die Umstellung von Marijo Vrgoc auf die Sechs. Und der eingewechselte Dries gab der Abwehr mehr Sicherheit. Doch natürlich musste Vitesse nach wie vor in Unterzahl spielen. Das 2:4 von Marko Vrgoc kurz nach Wiederanpfiff verunsicherte Livingroom nicht weiter. Vitesse hatte zwar mehr vom Spiel als in den ersten 45 Minuten, die Kontrolle lag aber weiterhin beim Gegner.
 
Alexander Graßhoff wäre vielleicht gar nicht mehr eingewechselt worden, wenn Jörg Friedrich nicht verletzt rausgemusst hätte. Immerhin kam er so noch zu einem 15-minütigen Einsatz und hat Chancen, Spieler des Tages zu werden. Auch nach der Partie ließ er sich nichts anmerken. „Ich werde im Training meine Leistung zeigen und es den Trainern, die mein volles Vertrauen genießen, so schwer wie möglich machen, mich am kommenden Sonntag nicht aufzustellen. Ein Kader besteht aus mehr als elf Spielern. Da muss eben sogar mal ein Alexander Graßhoff auf die Bank“
 
Aufstellung:
Trojan – Henkel, Marijo Vrgoc, Sengespeick – Hausmann, Friedrich (75. Graßhoff), Raubuch (46. Dries), Keim, Röser – Jakic (46. Fellenberger), Marko Vrgoc.
 
Tore:
0:1 Eisfeld (Handelfmeter, 4.), 0:2 Schwiderski (19.), 0:3 Eisfeld (Foulelfmeter, 24.), 1:3 Marko Vrgoc (Foulelfmeter, 25.), 1:4 Dühring (36.), 2:4 Marko Vrgoc (47.), 2:5 Huthmann (74.), 2:6 Schwiderski (76.)
 
Gelbe Karte: Marijo Vrgoc, Fellenberger.
 
Rote Karte: Röser (2., Handspiel auf der Linie)
 
Beste Spieler: Sengespeick, Marko Vrgoc.