Abschied eines Hipsters.

Mühlhan verlässt Vitesse nach 3:2-Sieg gegen Nieder-Olm.

Allwöchentlich fragt sich der schreibende Kicker: „Was ist der Aufhänger für meinen heutigen Spielbericht?“ Nach dem knappen 3:2-Sieg der Vitesser bei Nieder-Olm II boten sich mal wieder etliche an:

 

Der Kapitän, der kurz vor Spielbeginn merkte, dass er doch zu verletzt zum Spielen ist. Freddy Esser, der damit von der Bank in die Startelf rückte und den ersten Gegentreffer in der 22. Minute hauptsächlich verursachte. Polizist Pierre Alusse, der den Ausgleich besorgte und am Schießstand kaum so treffsicher sein kann wie derzeit auf dem Platz. Oder Conrad Poschmann, der nach der zwischenzeitlichen und unverdienten 2:1-Führung der Nieder-Olmer postwendend ausglich und seine Torbilanz schon auf sechs Treffer hochschraubte. Oder der gegnerische Abwehrspieler Zimmermann, der ob des Dribblings von Alusse in der 72. Minute wohl so begeistert war, dass er dessen Vorlage selbst ins eigene Tor schob.

 

Doch der Spielbericht muss dieses Mal einem Mann gewidmet werden, dessen Vita so viel über das Vitesse der vergangenen Jahre, aber auch der Zukunft erzählt.

 

Als Jannek Mühlhan im Winter 2011 zu Vitesse kam, hieß der Alleinherrscher über die Aktiven noch Kosta Moissiadis. Wenngleich die Griechen der Menschheit die Demokratie brachten, Moissiadis installierte ein streng autoritäres System. Wer seine Eingangsfrage beim ersten Trainingsbesuch („Wer bist du und was willst du hier?“) nicht schlagfertig oder zumindest bestimmt beantworten konnte, landete direkt in der 2. Mannschaft – und kam so schnell dort auch nicht mehr heraus. Kein Thomas Bayer, kein Anton Fluhr, kein Christian Klaes konnten den Griechen da umstimmen.

 

Fluhr hegte selbst noch Ambitionen in der 1. Mannschaft, Hassanzadeh, einige Körner fitter und einige Kilo leichter als heute, biss jeden weg, der seinen Stammplatz hätte gefährden können. Es war das letzte Zucken der alten Vitesse-Garde, die den Verein zu drei Aufsteigen geführt und es sich auf seinen Lorbeeren nun allzu bequem gemacht hatte.

 

Darunter litt auch Mühlhan lange Zeit. „Zu klein, zu langsam, zu  hipster“ – die Erstmannschaftskarriere wurde ihm verstellt. Er musste über ein halbes Jahr in der 2. Mannschaft spielen, ehe ihn selbstgemachte Personalprobleme Moissiadis‘ in den Kader der Ersten spülten. Er machte seine Sache von Beginn an gut und durfte bleiben. In der Spielzeit 2012/2013 – eine der erfolgreichsten in der Vitesse-Geschichte – zeigte er, dass er ein richtig guter Fußballer und Brücken schlagender Kapitän ist.

 

Mühlhan, Anfang 20, Student, Praktikum bei der FDP, bekennender Hipster. Das Erbe, das Hassanzadeh und Fluhr so erbittert verteidigt hatten, fiel an den ungeliebten Stiefsohn. Auf dem Vitesse-Platz tummelten sich auf einmal Spieler, die zwar kicken konnten, bei denen man sich aber auch nicht gewundert hätte, wenn sie ihre Wollmütze auch im Sommer noch beim Training anbehalten hätten. Die Hipster-Generation konnte nur scheitern. In der entscheidenden Phase der Saison fehlten etliche Stammkräfte aus nichtigen Gründen. Der Aufstieg war greifbar, doch wurde verpasst.

 

Natürlich ist Mühlhan ein Ausnahme-Hipster. Mit Zuverlässigkeit ging er vorneweg. Ihm lag etwas am Verein, er brachte sich ein. Er zog die anderen mit – aber eben nicht genug.

 

Sein Weggang zeigt die Krux, die Vitesse in der Zukunft noch zu schaffen machen wird: Die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master bedeutet, dass Langzeitstudenten wie einst Hassanzadeh und Fluhr eine aussterbende Art sind. Drei Jahre Studium, Abschluss, weg. Für Vitesse bedeutet das, dass gerade wenn ein Spieler auf dem Höhepunkt seinen Könnens ist (Beispiel Lukas Platte), die Zelte in Mainz abgebrochen werden und Abschied angesagt ist.

 

Abschiede sind traurig. Aber zum Abschied gibt es auch eine Kiste Bier. Die macht es erträglicher. Jannek, du Hipster, machs gut! Und lande lieber bei der BA als bei der FDP. Arbeitslose gibt es immer. Die Liberalen sterben aus.

 

FSV Nieder-Olm II – SV Vitesse Mayence 2:3 (1:0)

Aufstellung: Ajiginni – Graßhoff, Mühlhan, Esser, Grütz – Scholze, Alusse – Poschmann, Emsermann, Coelho – Bayat (72. Köhler)

 

Tore: 1:0 Dillmann (22.), 1:1 Alusse (58.), 2:1 Jedek (68.), 2:2 Poschmann (69.), 2:3 Eigentor Zimmermann (72.)

 

Gelbe Karte: Mühlhan

 

Bester Spieler: Mühlhan