Futter für die Gazetten – Rückkehr der „Diva Mayence“

Notelf schlägt sich trotz 2:6 gegen Oppenheim wacker.

awo. – Wäre Vitesse Mayence ein Profiklub, ganze Kohorten aufstrebender Boulevardjournalisten hätten (in der Vergangenheit) ihre wahre Freude mit der Berichterstattung über diesen Verein (gehabt).

 

Ergeifern hätten sie sich darin können, die regelmäßig auftretenden internen Querelen des Mainzer Kult- und  Studentenvereins an die sensationsgeile, nach Unterhaltung lechzende, fußballinteressierte Öffentlichkeit zu bringen (vitesse-mayence.de berichtete in der Vergangenheit als zuverlässige Informationsquelle immer wieder ausführlich) – selbst der Presserat würde wahrscheinlich applaudieren statt rügen.

 

Ja, basierend auf der langjährigen, seriösen Berichterstattung des Vitesse-PR-Organs lässt sich durchaus behaupten: Gegen die regelmäßig entfachten Stürme der Entrüstung im Mainzer Stadtteil Bretzenheim mutete selbst das Rauschen im Blätterwald der Münchner Gazetten zu den Skandälchen des „FC Hollywood“ um Effe, Loddar, Olli, Scholli, Super Mario, Liza, Elber & Co.  zur Jahrtausendwende lediglich wie ein lauens Lüftchen an.

 

Zwar war in letzter Zeit wieder deutlich ruhiger geworden um die alte Dame Vitesse (Özdemir-Platzverweise sind nicht erwähenswert). Doch vor dem Spiel der 1b gegen Oppenheim offenbarte die launische Diva endlich wieder einmal ihr grotesk-boulevardeskes Potential als nachrichtenliefernde Inspirationsquelle für die zuletzt so auf dem Trocken sitzende Sensationspresse. Was war geschehen?

 

Von Personalnot gebeutelt: Die 2. Mannschaft vor dem Aus (?)
Unter der Woche machten Vitesse-Verantwortliche unmissverständlich klar, dass die seit Saisonbeginn, vor allem bei der 2. Mannschaft, anhaltende Personalmisere unvermeidlich Konsequenzen habe. „Wenn das so weiter geht, haben wir gar keine andere Wahl, als die zweite Mannschaft vom Spielbetrieb abzumelden“, sagte Vorstandsmitglied Graßhoff und ergänzte, dass die Trainer „in diesem Fall dann auch keinerlei Organisation mehr übernehmen“.

 

Als Abteilungsleiter auch mit der (bei Vitesse eher undankbaren) organisatorischen Aufgabe der Spielmeldungen an den SWF-Verband vertraut, war es dem langjährigen Vitesser Graßhoff ein Dorn im Auge, dass es trotz eines 57er-Kaders wöchentlich zur Herkulesaufgabe mutiert, genug Spieler für zwei Mannschaften zusammenzukriegen.

 


„Die beiden Spiele am Wochenende ziehen wir noch irgendwie durch“ (agr.)


 

Da es zudem seit Wochen zu viele Spieler nicht schaffen, den zweiminütigen Zweitaufwand zu betreiben um sich zeitnah über die Online-Plattform „Freizeitmanager24“ für die anstehenden Spiele an- bzw. abzumelden, appellierte Graßhoff auch an die Medienkompetenz aller Internet-, Smartphone- bzw. „App“-affinen Aktiven. Sein Aufruf an die Online-Offliner: Statt bis Freitag vor dem Spiel bereits bis Anfang der Woche verbindlich zu- oder absagen, damit das Trainerteam überhaupt einigermaßen planen kann.

 

Boykott-Aufruf und Erinnerung an alte Zeiten
Graßhoffs Forderungen schlugen intern das ein und andere hohe Wellchen. Während der verletzte Torhüter Sascha Vos in der aktuellen Personalsituation lediglich eine vorübergehende „Dürrephase“ sah, die es zu überstehen gebe und branchenübliche Floskeln bemühte („Da müssen wir eben als Mannschaft enger zusammenrücken. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“), kritisierte Vitesse-Urgestein (und daher ebenfalls stark krisenerprobte) Dara Hassanzadeh Graßhoffs Boykott-Drohung harsch.

 

Erstens, so Hassanzadeh, müsse es doch grundsätzlich möglich sein, Termine ohne technische Hilfsmittel abzusprechen. Und das zweitens auch erst bis Freitags vor dem Spiel. Letzteres habe „Kosta [Moissiadis, langjähriger alleinherrschender Trainer der 1. Mannschaft, Anm. d. Red.] früher auch hinbekommen – und zwar ganz alleine“, schwelgte Hassanzadeh in Erinnerungen an die vergangene Hegemonie des Griechen und appellierte energisch an die Organisationskünste des vierköpfigen Trainerstabs.

 

Schließlich sei es nun einmal die wesentliche Aufgabe und Herausforderung eines Vitesse-Trainers, dafür zu sorgen „am Sonntag elf Männer auf den Platz führen und diese Täler durchzustehen. Nicht Hütchen in Trainingsformen zu kreieren oder Viererketten zu optimieren.“ Letzteres auch ein sachlich korrekter Hinweis auf die zuletzt zu löchrige und regelmäßig mit zu vielen Gegentoren gestopfte Defensive beider Vitesse-Teams.

 

Exhumierung von Karteileichen
Derweil hatte sich der Vitesse-Trainerstab für das Spiel der 1b gegen den favorisierten Tabellenzweiten seine eigenen Gedanken gemacht und aus der Not heraus einen ganz speziellen Masterplan aus dem Hut gezaubert – bzw. aus Kellerkisten ausgegraben.

 

„Wir haben Uralt-Vitesser gebeten, noch mal die Schuhe zu schnüren, mit deren Hilfe werden wir zwei Mannschaften gerade so zusammenkriegen. Das wird aber das letzte mal so laufen“, hatte Nicht-Trainer Graßhoff bereits unter der Woche die kurzfristige und ultimative Exhumierung von verdienten Vitesse-Karteileichen angekündigt.

 

Trainer Anton Fluhr gab unmittelbar vor dem Spiel weitere Details zur internen Ausgrabung preis, indem er indirekt – aber wohl perfide bewusst – eindringlich subtil dosierte Impulse an die Riechsynapsen seiner Spieler sendete, um diese noch stärker für Tragweite der aktuell schwierigen Personalsituation zu sensibilisieren:

 

„Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wo diese uralten Pässe im Keller lagen.“ Mit diesen Worten hatte Fluhr definitiv (auch) den (Motivations-) Nerv der Mannschaft getroffen. Eindringlich stellte der Coach noch einmal klar, wem es letztlich überhaupt zu verdanken war, dass das Spiel der 1b nicht abgesagt werden musste:

 

Den Alt-Vitessern Toph Kemmann (letztes Spiel vor gut zwei Jahren), Frank Hillesheim (deutlich länger her), Andi Ritzel (hatte bereits dreimal in dieser Saison ausgeholfen, Spielerpass nur leicht angestaubt) sowie den Debütanten Daniel Pontzen (war in der Vorbereitung „2-3 mal dabei“) und Patrick Kuhn (hatte zuletzt vor einem halben Jahr einmal im Training vorbeigeschaut).

 

Zum Spiel: äußerst starke Vorstellung gegen den Tabellenzweiten
Getreu der Klaes-Fluhr‘schen Vorgabe „Wir wissen was uns erwartet. Also gehen wir raus und haben einfach Spaß“ ging Vitesse raus und hatte Spaß. Auf speziell ausgeklügelte taktische Vorgaben – außer der, sicher zu stehen – hatten die Trainer wegen der bunt zusammengewürfelten Notformation und in Erinnerung an sämtlichen taktisch ausgeklügelten, aber erfolgslosen Auftritte in jüngster Vergangenheit in weiser Voraussicht verzichtet.

 

Und siehe da: Trotz defensiver Ausrichtung war Vitesse die bessere Mannschaft mit mehr und besseren Torchancen. Der Lohn für eine engagierte Leistung: ein respektables 1:1 zur Pause. „Hut ab“, lobte der mit allen Mannschaftsteilen hochzufriedene Fluhr. Die Erkenntnis daraus: Vitesse ist wohl immer dann am besten, wenn eigentlich alles egal ist.

 

Platzverweis als Wendepunkt
Mit der Gewissheit gegen den schwachen Gegner sogar dreifach punkten zu können, passierte Vitesse nach der Pause dann etwas, was wohl nur Vitesse passiert. Oppenheim erhielt beim Stand von 1:1 „rot“ – und schoss in Unterzahl fünf Tore. So stand am Ende ein hässliches, dem Spielverlauf nicht in Ansätzen gerechtes 2:6 des Tabellenzehnten Vitesse gegen den Zweiten auf dem Spielberichtsbogen des großzügig leitenden Schiedsrichters.

 

Die Frage, wie die Gäste überhaupt den zweiten Platz in der Liga erklimmen konnten, darf daher erlaubt sein. Eine Antwort auf die Frage warum Vitesse dagegen gegentorlastig im Niemandsland der Tabelle herumkrebst, steht ja ausführlich oben…

 

SV Vitesse Mayence II – FSV Oppenheim II 2:6 (1:1)

Aufstellung: Knoll – Petruschin, Wolf (75. Hillesheim), Klaes, Lenz – Hillesheim (40. Pontzen), Kemmann [C] – Ritzel (30. Kuhn), Pontzen (20. Özdemir (46. Diehl)), Lotz – Ajiginni (46. Ritzel (78. Ajiginni))

 

Tore: 0:1 (37.), 1:1 Pontzen (43., Kopfball nach Eckstoß Petruschin), 1:2 (62.), 1:3 (70./FE), 1:4 (72.), 1:5 (77.), 1:6 (87.), 2:6 Petruschin (89., direkter Freistoß)

 

Gelbe Karten: –

 

Rote Karte: Best (Oppenheim, 59., grobes Foulspiel)

 

Beste Spieler: Klaes, Kemmann, Wolf, Petruschin